Bücher beenden nicht den Krieg, aber sie helfen, nicht unterzugehen
Serhij Zhadan: Die guten schlechten Bücher
Mit seiner klaren Sprache bringt uns der 1974 in der Ostukraine geborene und in Charkiw lebende Schriftsteller Serhij Zhadan seine Heimat, die Ukraine, nahe. Der Suhrkamp Verlag hat mehrere seiner lesenswerten Romane und Gedichtbände in Übersetzungen veröffentlicht, u.a. Depeche Mode 2007, die Hymne der demokratischen Jugend 2009, Die Erfindung des Jazz im Donbass 2012, Warum ich nicht im Netz bin. Gedichte aus dem Krieg, 2015, Antenne 2020.
Die um deutsche Übersetzungen osteuropäischer Literatur hochverdiente Lektorin Katharina Raabe hat in dem Sammelband Warum lesen. Mindestens 24 Gründe (Suhrkamp 2020) auch Zhadans bittere, entwaffnende, ermutigende Reflexionen über Bücher und Bibliotheken in Kriegszeiten aufgenommen.
Serhij Zhadan und Lektorin Katharina Raabe 2015, Foto Jörg Plath
Im Krieg stehen Bücher in Regalen „wie Zeugen einer untergegangenen Zivilisation, einer Zivilisation, die eine riesige Menge an Wissen angehäuft hat, aber außerstande ist, von diesem Wissen Gebrauch zu machen. Bibliotheken im Krieg sind ein ganz und gar unnatürlicher Anblick. Aber auch ein zutiefst berührender.“ Zhadan beschreibt die von Kugeln durchschossenen Bücher einer Dorfschule in der sogenannten Luhansker Volksrepublik. Im Krieg kommen Menschen in die Dorf- und Stadtbibliotheken, um sich aufzuwärmen: „Nicht die schlechteste Form der Dienstleistung, wie ich finde.“
„Meine Freunde und ich sind in diesem Krieg quasi Außenstehende, wir kommen nicht, um zu kämpfen, wir kommen, um Gedichte vorzutragen.“ Schriftsteller sollten, so Zhadan, den Krieg nicht als literarisches Material nutzen, aber der Krieg brauche Zeugen und Zeugnisse. „Unter unnormalen Umständen – und wir einigen uns am besten gleich darauf, dass Krieg etwas vollkommen Unnormales ist – klammern sich die Menschen an die Dinge, die sie mit einem Leben ohne Krieg verbinden: Bücher, Dichter, Filme, Musik. Es ist der banale und zugleich utopische Wunsch, aus dem tagtäglichen Schrecken auszubrechen, das Wertesystem beizubehalten, das einen Bogen zum früheren Leben, zum Leben vor dem Krieg schlägt.“
Zhadan hatte 2014, nachdem er von prorussischen Besatzern krankenhausreif geschlagen worden war, in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung den „unsichtbaren Krieg“ im Donbass beschrieben. Heute wird dieser mörderische Krieg mit seinen Auswirkungen auf die ganze Welt auch von uns gesehen, die wir ihn lange nicht sahen oder nicht sehen wollten. Zhadan kämpft seit vielen Jahren mit Worten gegen den aufgezwungenen Krieg, nicht weniger tapfer und verzweifelt als die ukrainischen Soldaten.
„Natürlich können Bücher den Krieg nicht beenden. Aber Bücher können dir im Krieg helfen, du selbst zu bleiben, dich nicht zu verlieren, nicht unterzugehen. … Ich hoffe, dass sie uns in diesem Leben doch irgendwie eine Orientierung geben. Ich hoffe, dass wir in diesem Leben doch irgendwie etwas zum Besseren wenden können.“